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Leseprobe „Der letzte Tanz“

(zweiter Niederbayern-Krimi)

 

Im Haus war es dunkel und still. Keine polternden Schritte auf der Treppe, keine lauten Stimmen; nichts, was die abendliche Ruhe hätte stören können. Die Turmuhr von St. Ulrich schlug zweimal zur halben Stunde. Tief und wohlklingend ertönten die Glocken der Dorfkirche und ließen die Person, die in einem Sessel vor dem Kaminfeuer saß, einen Blick auf ihre Armbanduhr werfen: erst halb sechs. Jetzt, Anfang Februar, waren die Tage noch kurz und boten, wenn sich, so wie heute, der Nebel überhaupt nicht lichten mochte, ein graues und trübes Einerlei. Zudem war der Winter in der vergangenen Woche mit eisiger Kälte zurückgekehrt und hatte die Landschaft unter einer dicken Schneedecke begraben.

Höchste Zeit, etwas Farbe in das Leben der Menschen zu bringen, hatte Pfarrer Hartl am Sonntag im Gottesdienst voller Vorfreude gesagt.

Nach den obligatorischen sieben Jahren würde endlich wieder der Schäfflertanz in Altenberg aufgeführt werden. An den bevorstehenden Faschingstagen würde er die Kreisstadt und ihre umliegenden Dörfer mobilisieren und begeistern, wie es keinem zweiten Ereignis in der Gegend gelang. Nur er vermochte sogar die verfeindeten Nachbarsdörfer Neukirchen und Ebersbach ihre gegenseitige Abneigung in diesen fünf Tagen vergessen zu lassen. Überall herrschte eine Mischung aus freudiger Erwartung und Anspannung. Zwei Altenberger Konditoreien waren in einen regelrechten Wettstreit um die originellere und bessere Schäfflertorte getreten, und auch in den Auslagen der örtlichen Metzgereien fand sich so manche fantasievolle Neukreation. Die Lokalzeitung hatte ein Preisausschreiben gestartet und zählte in jeder Ausgabe die verbleibende Zeit bis zum Eröffnungstanz vor dem Altenberger Rathaus. Noch zehn Tage.

Doch die Person interessierte sich nicht für die bunte Anzeigenkampagne der „Altenberger Nachrichten“, die vor ihr auf dem Tisch lagen. Auch der Vorfreude von Pfarrer Hartl und den anderen Neukirchnern mochte sie sich nicht anschließen. Starr und unbeweglich saß sie seit einer Stunde in ihrem Sessel und blickte in das knisternde Kaminfeuer, der einzigen Lichtquelle im Raum.

Dann ging plötzlich ein Ruck durch ihren Körper und sie griff nach dem Gegenstand, der schon die ganze Zeit neben der Zeitung auf dem Tisch gestanden hatte.

Eine kleine Holzfigur in Form eines Schäfflers hing an dünnen Schnüren befestigt zwischen zwei bunten Holzleisten. Sobald man die Leisten am unteren Ende leicht zusammendrückte, machte die Figur einen eleganten Überschlag. Das fragile Konstrukt war von einem Schreiner, selbst ein ehemaliger Schäffler, eigens für die Faschingstage angefertigt worden und hatte sich in den Altenberger Geschäften schon im Vorfeld als wahrer Verkaufsschlager entpuppt.

Rolle vorwärts, Rolle rückwärts, Rolle vorwärts, Rolle rückwärts. Immer wieder drückte die Person die Holzleisten zusammen und ließ die Figur ihre akrobatische Turnübung ausführen. Dabei summte sie leise eine Melodie. Die Melodie, die die Schäffler schon bald während ihrer Tanzaufführungen begleiten würde. Der Schatten der Figur, den die Flammen des Kaminfeuers an die gegenüberliegende Wand projizierten, wirkte unnatürlich groß. Es fühlte sich an, als ob ein weiterer Mensch im Raum anwesend wäre. Als ob er auf einmal da wäre.

Abrupt hielt die Person in ihrer Handbewegung inne. Kein Ton kam mehr über ihre Lippen. Wie hypnotisiert starrte sie auf den ruhenden Schatten. Der Hass kam mit solcher Wucht, dass sie die Figur am liebsten quer durch den Raum geschleudert hätte. Abgrundtiefer Hass, gefolgt von dem Wunsch, ihn für immer auszulöschen. Ihre Hände krampften sich um das Holzspielzeug, bis die Knöchel weiß hervortraten. Sie schloss die Augen und zwang sich, ein paar Mal tief durchzuatmen.

Allmählich wurde sie ruhiger, ihre Finger lockerten sich. Fast schon mitleidig betrachtete sie den Gegenstand in ihrer Hand, ehe sie erneut die vertraute Melodie zu summen anfing. Langsam, geradezu andächtig, löste sie dabei die Fäden und riss der Figur nach und nach die angeschraubten Gliedmaßen ab. Schließlich zerlegte sie das Holzspielzeug so lange, bis sämtliche Einzelteile vor ihr auf dem Tisch lagen.

„Asche zu Asche, Staub zu Staub.“

Ein diabolisches Lächeln umspielte für einen kurzen Augenblick ihre Lippen.

„Fahr zur Hölle“, zischte sie und warf die Teile in das Kaminfeuer, wo sie innerhalb weniger Sekunden von den Flammen vernichtet wurden.

Leserstimmen zu "Der letzte Tanz"

„Dieser Krimi enthält sehr viel Lokalkolorit. Er ist sehr gut geschrieben und spannend bis zum Schluss. Nichts ist so wie es scheint. Die Charaktere sind so gut beschrieben, dass man das Gefühl hat selbst vor Ort zu sein. Ein Muss nicht nur für Fans von Regionalkrimis.“ (Leserrezension)

„Sehr schönes und spannendes Buch, das bis zur letzten Seite fesselt.“ (Leserrezension)

„Dieser Krimi hat alles, was das Leseherz begehrt. Mehrere Handlungsstränge, die logisch aufgebaut sind und schön zusammenlaufen, Humor und Lokalkolorit und einen Spannungsbogen, der bis zum Schluss nicht abnimmt.“ (Leserrezension)